In einem am 30.03.2023 ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C‑34/21 ging es um einen Fall aus Hessen, in welchem der Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer beim Hessischen Kultusministerium gegen den Minister des Hessischen Kultusministeriums geklagt hatte. Auslöser des Verfahrens waren zwei Erlasse, welche die Durchführung von Unterricht per Livestream über eine Videokonferenzplattform in Zeiten des Distanzunterrichts in der Covid 19 Pandemie regelten. Während diese Erlasse die Einwilligung von Schülerinnen und Schülern bzw. deren Erziehungsberechtigten vorsahen, war diese bei Lehrkräften nicht vorgesehen. Das Hessische Kultusministerium hatte sich bezüglich der Lehrkräfte auf eine Regelung von § 23 HDSIG (Datenverarbeitung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses) berufen. Damit war der Hauptpersonalrat nicht einverstanden und es kam zur Klage vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass es in diesem Fall um die sehr viel grundlegendere Frage geht, in wieweit die Regelung in § 23 HDSIG den Vorgaben von Art. 88 Abs. 2 DS-GVO entspricht und legte den Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Art. 88 DS-GVO regelt die Datenverarbeitung im Beschäftigtenkontext.
Nach Einschätzung des EuGH fällt die Verarbeitung von personenbezogenen Daten von Lehrkräften bei der Durchführung von Unterricht per Livestream in den Regelungsbereich der DS-GVO. Das ist sehr wichtig, da es eine Grundlage für seine Entscheidung ist. Der EuGH bestätigt mit seiner Entscheidung die Annahme des Verwaltungsgerichtes, dass die Regelungen in § 23 HDSIG als spezialgesetzliche Regelungen nicht den Vorgaben von Art. 88 Abs. 2 DSG-VO genügen. Die DS-GVO lässt in bestimmten Bereichen durch sogenannte Öffnungsklauseln nationalgesetzliche Regelungen zu, die sich innerhalb der Vorgaben der DS-GVO bewegen müssen aber diese nicht einfach nur selbst wiederholen dürfen. Im Fall von § 23 HDSIG ist genau das jedoch nach Ansicht der Richter des EuGH der Fall. Die Regelung ist zu unbestimmt und es handelt sich dabei eben um „keine „spezifischere Vorschrift“ im Sinne von Art. 88 Abs. 1 DSGVO“, da „sie nicht die Vorgaben von Abs. 2 dieses Artikels erfüllt,“ wie es in der Pressemitteilung des EuGH heißt. Auch wenn der EuGH mit seiner Entscheidung eine Anwendung von § 23 HDSIG im Sinne von Art. 88 DS-GVO ausschließt, sieht es jedoch die Möglichkeit, dass § 23 HDSIG „eine Rechtsgrundlage für die Verarbeitung im Sinne eines anderen Artikels der DSGVO dar[stellen kann], die den Anforderungen dieser Verordnung genügt.“ Das wäre jedoch noch durch das Verwaltungsgericht zu prüfen. Der EuGH, der selbst nicht über einen nationalen Rechtsstreit in einem Mitgliedsstaat entscheidet, hat den Fall damit an das Verwaltungsgericht zurückgegeben. Dieses muss nun „über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs […] entscheiden.“
Bewertung
Wie hoffentlich deutlich geworden ist, geht es hier um sehr grundlegende Fragen, wie nationalgesetzliche Regelungen zum Beschäftigtendatenschutz im Sinne von Art. 88 DS-GVO umgesetzt werden. Es geht also nicht um die grundsätzliche Frage, ob Lehrkräfte zur Erteilung von Distanzunterricht per Videolivestream verpflichtet werden können oder ob dazu ihre Einwilligung eingeholt werden muss. Vielmehr geht es darum, dass die Bundesländer bei der Schaffung von Rechtsgrundlagen für eine solche Verpflichtung sauberer Arbeiten müssen. Entweder sie schaffen eine „spezifischere Vorschrift“ im Sinne von Art. 88 Abs. 1 DS-GVO, wenn sie eine Regelung im Sinne des Beschäftigtendatenschutzes schaffen wollen, oder sie stützen sich auf einen anderen Artikel der DS-GVO. Im Fall aus Hessen wird jetzt das Verwaltungsgericht entscheiden. Die Landesregierung würde den Fall in dem Moment verlieren, wo das Gericht zu dem Schluss kommt, dass nicht nur die in „Art. 88 Abs. 1 und 2 DS-GVO vorgegebenen Voraussetzungen und Grenzen nicht beachtet sind,“ sondern auch eine Anwendung von Art. 6 Abs. 1 lit. c oder e DS-GVO nicht möglich ist. Die Entscheidung des EuGH geht über den Fall in Hessen hinaus. Auch in anderen Bundesländern und über auch in anderen Beschäftigungskontexten als in Schule werden die Gesetzgeber ihre Regelungen gegebenenfalls auf den Prüfstand stellen müssen. In NRW ist man mit den noch recht neuen Regelungen von § 121 Abs. 1 Satz 1 SchulG NRW gut aufgestellt und hat eine gute Rechtsgrundlage, auf welcher Lehrkräfte zu Erteilung von Unterricht per Videokonferenz bzw. im Livestream verpflichtet werden können. Der Knackpunkt ist hier allerdings die Frage, wann und ob die Erteilung von Unterricht über eine Videokonferenz-Plattform zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrages im jeweiligen Fall pädagogisch erforderlich ist. Darüber könnten die Beteiligten zu verschiedenen Einschätzungen kommen.
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- Eine kurze und gut verständliche Zusammenfassung gibt es von Stefan Hessel auf Linkedin.
- Zur Entscheidung gibt es noch eine Pressemeldung des EuGH, die besser lesbar ist als das oben verlinkte Urteil selbst.