Am Europäischen Gerichtshof befasste sich jetzt der Generalstaatsanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona mit einem Verfahren, in welchem es um die Rechtmäßigkeit einer Anordnung an Lehrkräfte geht, Unterricht mit Livestream per Videokonferenz durchzuführen, wenn diese nicht darin einwilligen. Kläger ist hier der Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer beim Hessischen Kultusministerium und Beklagter der Minister des Hessischen Kultusministeriums als Dienststellenleiter. Der Fall war nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt a. M. dem Generalstaatsanwalt vorgelegt und das laufende Verfahren solange ausgesetzt worden. Im Verfahren war es darum gegangen, ob es neben der Einwilligung der Eltern für ihre Kinder oder der volljährigen Schülerinnen und Schüler auch der Einwilligung der Lehrkräfte bedarf, um ihren Unterricht per Videokonferenz live streamen zu können, oder ob die dabei erfolgende Verarbeitung von personenbezogenen Daten bereits durch § 23 Abs. 1 Satz 1 Hessisches Datenschutz- und Informationsfreiheitsgesetz (HDSIG) gedeckt ist. Das Verwaltungsgericht hatte Zweifel, ob die Norm im HDSIG „als eine „spezifischere Vorschrift“ hinsichtlich der Verarbeitung von personenbezogenen Beschäftigtendaten nach Art. 88 DS-GVO anzusehen sei. Die Schlussanträge des Generalstaatsanwalts vom 22 September 2022 zum vorgelegten Fall enden mit einer Empfehlung an den Europäischen Gerichtshof, wie dieses dem Verwaltungsgericht in Frankfurt a. M. antworten soll.
Demnach ist Art. 88 Abs. 1 und 2 DS-GVO dahingehend auszulegen, dass „eine von einem Mitgliedstaat erlassene Rechtsvorschrift nur dann eine spezifischere Vorschrift zur Gewährleistung des Schutzes der Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten im Beschäftigungskontext darstellt, wenn sie die nach Art. 88 Abs. 2 der Verordnung 2016/679 an solche Vorschriften gestellten Anforderungen erfüllt.
Erfüllt die Rechtsvorschrift die Voraussetzungen aus Art. 88 Abs. 2 der Verordnung 2016/679 nicht, so ist sie gegebenenfalls nur insoweit anwendbar, als sie durch andere Bestimmungen dieser Verordnung oder durch die in Art. 6 Abs. 2 der Verordnung genannten, zur Anpassung erlassenen nationalen Vorschriften gedeckt ist.„
§ 23 Abs. 1 Satz 1 HDSIG erfüllt nach Einschätzung des Generalstaatsanwaltes die Voraussetzungen aus Art. 88 Abs. 2 DS-GVO nicht. Zwar ermöglicht diese Rechtsvorschrift die Verarbeitung von Beschäftigtendaten, doch sie konkretisiert die Bedingungen und Bestimmungen für eine eventuelle Verarbeitung nicht. Weiterhin fehlen „geeignete[n] und besondere[n] Maßnahmen zur Wahrung der menschlichen Würde, der berechtigten Interessen und der Grundrechte der betroffenen Person“.
Der Generalstaatsanwalt schließt sich damit der Einschätzung der Richter am Verwaltungsgericht an. Das Hessische Kultusministerium kann Lehrkräfte nicht dazu anweisen, ihren Unterricht per Livestream zu übertragen, wenn diese nicht eingewilligt haben, solange es dafür keine spezifischeren Regelungen gibt, in denen gem. Art. 88 Abs. 2 DS-GVO Maßnahmen festgelegt, welche die „in Bezug auf die Garantien die erforderliche Übereinstimmung mit der Spezifität der gemäß Art. 88 Abs. 1 DSGVO erlassenen Vorschriften sicherstellen.“
Siehe auch Datenschutz bei Livestream-Unterricht in CRonline. Wer sich für die Details des Falls interessiert, findet diese in den SShlussanträgen des Generalstaatsanwalts vom 22 September 2022 .
Bewertung
Das Thema Unterricht per Videokonferenz landet tatsächlich beim EuGH. Ursache ist hier wie in so vielen Fällen, dass ein Gericht sich an höherer Stelle rückversichert und die Entscheidung deshalb beim Europäischen Gerichtshof vorlegt. Ob sich die Empfehlung des General Staatsanwaltes, welche wohl auch die Antwort des Gerichtshofs selbst sein wird, auf andere, ähnlich gelagerte Fälle in anderen Bundesländern übertragen lässt, hängt sehr stark davon von der jeweiligen Rechtslage ab. Auch wenn sich die Landesdatenschutzgesetze alle an der europäischen Datenschutz Grundverordnung orientieren und den von dieser gesteckten Rechtsrahmen einhalten müssen, zeigt der Fall aus Hessen, dass bei der Umsetzung möglicherweise doch handwerkliche Fehler gemacht worden sind. Auch in anderen Bundesländern, etwa in Nordrhein-Westfalen, gab es Ansätze, Lehrkräfte auf der Grundlage schuldatenschutzrechtlicher Regelungen in Kombination mit dem Landesdatenschutzgesetz zur Durchführung von Unterricht per Videokonferenz zu verpflichten. Mittlerweile dürften in den meisten Bundesländern Schulgesetze entsprechend angepasst worden sein, um bereits dort eine Rechtsgrundlage zu schaffen. In Nordrhein-Westfalen erfolgte dieses mit dem 16. Schulrechtsänderungsgesetz und der Erweiterung von § 120 Absatz 5 um Satz 2und der entsprechenden Regelung in § 121. Offen bleibt in NRW aber beispielsweise trotzdem, ob das Streamen von Unterricht per Videokonferenz zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrages erforderlich ist. Das ist letztlich eine pädagogisch-didaktische Entscheidung, die Spielraum lässt.