Grund- und weiterführende Schulen in NRW nutzen seit fast zwei Jahren die vom Land bereitgestellte Leseförderplattform Leon. In dieser Onlineplattform ist es möglich, Leseübungen aufzunehmen und zu speichern. Übermitteln Schüler die Aufzeichnungen an Lehrkräfte, können diese sie zur individuellen Leseförderung und zum Feedback nutzen. Mit den Aufzeichnungen erhalten sie einen Einblick in den Lesestand sowie Lesefortschritt der Schülerinnen und Schüler und können gezielt Rückmeldungen geben, passende Übungen zuweisen und die Leseförderung entsprechend steuern. Für die LDI NRW wird diese Funktion in LeON jedoch datenschutzrechtliche Fragen auf. Ein Grund, sich damit zu beschäftigen und eine Klärung mit dem Schulministerium herbeizuführen war die „Beschwerde eines Elternteils gegen diese Tonaufzeichnungen und gegen die Übersendung der Aufzeichnung an die Lehrkraft.“
In § 120 Abs. 6 Schulgesetz NRW ist aktuell festgelegt: „(6) Bild- und Tonaufzeichnungen des Unterrichts oder sonstiger verbindlicher Schulveranstaltungen bedürfen der Einwilligung der betroffenen Personen. Die Einwilligung muss freiwillig erteilt werden. Den betroffenen Personen dürfen keine Nachteile entstehen, wenn sie eine Einwilligung nicht erteilen.“ Diese Vorgabe ist zu unterscheiden von den Regelungen zur (verpflichtenden) Nutzung von Videokonferenzsystemen gem. Abs. 5 Satz 2: „(5) Die Schule darf für den Einsatz digitaler Lehr- und Lernmittel personenbezogene Daten der Schülerinnen und Schüler und der Eltern verarbeiten, soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Schule erforderlich ist. Dies gilt entsprechend für den Einsatz von Lehr- und Lernsystemen und Arbeits- und Kommunikationsplattformen einschließlich Videokonferenzsystemen (§ 8 Absatz 2); in diesem Rahmen sind die Schülerinnen und Schüler zur Nutzung verpflichtet.„
Für die LDI NRW ist auf die Aufzeichnung von Leseübungen § 120 Abs. 6 anzuwenden, da es sich anders als bei Videokonferenzsystemen um eine Speicherung der Audioinhalte handelt. Es ist demnach eine Einwilligung erforderlich, die aber im Kontext Schule nur in „eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig“ ist. Dafür muss die Nutzung der Tonaufnahmen zur Leseförderung freiwillig sein und eine Nichtnutzung dieses zusätzlichen Angebotes darf nicht zu Nachteilen führen, weder bei der Leseförderung noch bei der Benotung. Über die Einwilligung behalten die Eltern, das ist der LDI NRW wichtig, die Kontrolle über die Aufnahmen und können sie auch jederzeit löschen lassen und die Einwilligung widerrufen. Die Schule muss für die Einwilligungen entsprechend umfassend und verständlich informieren.
Nach der Klärung der Problematik zwischen LDI NRW und dem Ministerium für Schule und Bildung (MSB) finden sich auf den LeOn Seiten jetzt ein Informationsschreiben und eine Einwilligung zu Stimmaufzeichnungen, welche Schulen für sich anpassen und nutzen können. Auch in der Plattform wurden Anpassungen vorgenommen. Lehrkräfte können dort die Einwilligungen der Schülerinnen und Schüler verwalten und anpassen. Bei Kindern ohne Einwilligung wird die Aufnahme-Funktion gesperrt.
Bewertung
Bei einer vom Land bereitgestellten Plattform, auf welcher Kinder ihre Leseübungen als Aufnahmen an die Lehrkräfte übermitteln, damit diese ihre Förderung entsprechend anpassen können, würde man wohl eher nicht mit einer Beschwerde von Eltern rechnen, zumal Lehrkräfte die Kinder ja auch im Unterricht laut vorlesen lassen, wobei dann auch die Mitschüler mithören. Was immer die Eltern bewegt haben mag, so haben sie damit auf ein datenschutzrechtliches Problem aufmerksam gemacht, die Aufzeichnung und Speicherung von Tonaufnahmen ohne die dafür erforderliche Einwilligung.
§ 120 Abs. 6 wird in der Praxis sehr weit ausgelegt und erfasst alle Tonaufzeichnungen, auch wenn es individuelle Aufzeichnungen sind und nicht solche, welche ganze Klassen oder Lerngruppen erfassen, wie etwa ein Mitschnitt des Unterrichts. Deshalb fallen auch Aufzeichnungen von lautem Vorlesen in einer Leseförderplattform darunter und sind einwilligungspflichtig. Sinnvollerweise hat man die Einwilligung auf die Funktion zum Aufzeichnen und Übermitteln von Tonaufnahmen beschränkt. Eltern können das differenziert einwilligen und das Aufzeichnen (Speichern) zulassen, das Übermitteln an die Lehrkraft jedoch ablehnen. Den Sinn, die Übermittlung abzulehnen, kann man mit Blick auf den Schulalltag durchaus anzweifeln, da es letztlich keinen Unterschied macht, ob die Lehrkraft eine Aufzeichnung anhört oder das Kind direkt vorlesen lässt und zuhört. Aus Sicht von Datenschutz macht diese Möglichkeit jedoch Sinn, da es um die Kontrolle über die eigenen Daten im Kontext der Einwilligung geht. Wenn entschieden wird, dass Daten gespeichert werden dürfen, dann darf auch bestimmt werden, was mit den Daten geschieht.
In Bayern ist sind Bild- und Tonaufzeichnungen zu pädagogischen Zwecken in engen Grenzen auch ohne Einwilligung möglich. Es wäre zu wünschen, wenn es im Sinne modernen Unterrichts eine Rechtsgrundlage gäbe, welche Schulen zur Erfüllung des Bildungsauftrags eine Verarbeitung von Bild- und Tonaufzeichnungen zu pädagogischen Zwecken erlaubt. Dann wäre es möglich, auch Sprachaufzeichnungen in LeOn ohne Einwilligung anzufertigen und an Lehrkräfte zu übermitteln. Möglich wären dann ohne Einwilligung auch Erklärvideos, Podcasts und andere Medienprodukte von Schülerinnen und Schülern. Bild- und Tonaufzeichnungen zu pädagogischen Zwecken heißt immer, dass Aufnahmen nicht veröffentlicht werden und nach Abschluss des Unterrichtsprojektes bei den Schülerinnen und Schülern verbleiben oder gelöscht werden.
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